Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat über einen Zeitraum von vier Jahren zwischen 2016 und 2020 das namenkundliche Projekt „Digitales vorpommersches Flurnamenbuch“ an der Universität Greifswald gefördert. Ziel des Vorhabens, für das der Leiter des Pommerschen Wörterbuchs, Privatdozent Dr. Matthias Vollmer, verantwortlich zeichnet, ist die Dokumentation und sprachwissenschaftliche Auswertung der schriftlich überlieferten Flurnamen aus dem gesamten Raum Vorpommern mit seiner Fläche von etwa 8.700 km2. Damit wird die seit Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend brachliegende Flurnamenforschung in Vorpommern neu akzentuiert.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts, Katharina Oelze M.A., die in der ersten Phase des Projekts von der studentischen Hilfskraft Friederike Burmann unterstützt wurde, hat in den vergangenen Jahren in einer wahren Sisyphusarbeit alle relevanten Archive der Region besucht und dort zahllose ungedruckte Quellen ermittelt und ausgewertet, in denen historische Flurnamen belegt sind. Daneben wurden selbstverständlich alle greifbaren bzw. bereits gedruckten Quellen in die Materialerhebung einbezogen. Insgesamt konnten auf diese Weise etwa 90.000 Flurnamenbelege gesichert werden, die ca. 40.000 verschiedenen Namen zuzuordnen sind. Diese Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass derselbe Flurname häufig mehrmals in verschiedenen Quellen zu belegen ist, wobei sich zudem auch die Schreibweise ändern kann.
Unter Flurnamen oder Mikrotoponymen sind die in aller Regel von der einheimischen Bevölkerung vergebenen Namen für landwirtschaftlich genutzte Flächen aller Art zu verstehen, zum Beispiel Äcker, Weiden, Wiesen und Wälder. Diese Namen spielten bis in das 20. Jahrhundert hinein eine eminent wichtige Rolle für landwirtschaftlich geprägte dörfliche Gemeinschaften, verkörperten sie doch den entscheidenden Orientierungsrahmen für die agrarische Lebens- und Arbeitswelt. Weil die Erstbenennung eines Flurstücks nicht völlig willkürlich ist, sondern immer auf ein bestimmtes Benennungsmotiv zurückzuführen ist, geben Flurnamen unter anderem Auskunft über vergangene Besitzverhältnisse, Siedlungsstrukturen, über Flora und Fauna, die Nutzung von Flächen und vieles mehr. Flurnamen sind deswegen nicht nur ein ergiebiges Material für die Sprachwissenschaft, sondern auch für Historiker, Archäologen, Volkskundler und Geografen. So verweist der Flurname Kohbrink beispielsweise auf eine an einem Hügel gelegene Kuhweide, der Galgenbarg auf eine ehemalige Richtstätte, der Name Karkwisch bezeichnet eine der Kirche gehörende oder in der Nähe einer Kirche gelegene Wiese, bei der Bäukenhorst handelt es sich um eine ehemalige mit Buchen bestandene Waldfläche und der niederdeutsche Flurname Kielstück bezieht sich auf die keilförmige Form der betreffenden Parzelle.
Der überwiegende Teil der Flurnamen in Vorpommern ist niederdeutscher Herkunft, wie man bereits an den wenigen eben zitierten Beispielen erkennen kann. Diese Region ist namenkundlich zudem besonders deswegen interessant, weil sich hier noch ältere Schichten slawischer Flurnamen und Mischnamen aus slawischen und deutschen Bestandteilen zeigen. Auf eine Etymologisierung der slawischen Namenbestandteile ist in aller Regel verzichtet worden, denn für diese Aufgabe bedarf es slawistischer und nicht germanistischer Fachkompetenz. Deswegen sind in der Datenbank die meisten slawischen Namenbestandteile mit einem Vermerk (?slaw.) versehen worden, der diesen Tatbestand reflektieren soll.
Die hochdeutsch geprägte Schriftsprache, die die ältere mittelniederdeutsche Schriftlichkeit im deutschen Norden im Verlauf des 16. Jahrhunderts verdrängen konnte, hat übrigens auch dazu geführt, dass in vielen Fällen niederdeutsche Namen verhochdeutscht worden sind (Katasternamen), ganz im Unterschied zu ihrem tatsächlichen Gebrauch in der Alltagssprache vor Ort. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, das niederdeutsche Flurnamenelement Wisch in vielen Quellen bereits seit dem 17. Jahrhundert häufig in das hochdeutsche Äquivalent Wiese umgeformt.